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Nur gute Nachrichten reichen nicht

Konstruktiver Journalismus in der Praxis

15.11.2023

Konstruktiver Journalismus im Krieg: Wie können Medien ethische Werte wahren? Eine Diskussionsveranstaltung in Bremen gibt Einblicke in die Herausforderungen und Chancen einer lösungsorientierten Berichterstattung. Erfahren Sie, wie Journalisten und Medien einen Beitrag zur Veränderung leisten können und warum konstruktiver Journalismus mehr als nur "gute Nachrichten" bedeutet.

Christoph Sodemann und Libuse Cerna im Gespräch

Die "Odessa-Tage" finden erstmals in Bremen statt. Seit dem Sommer besteht eine Städtepartnerschaft zwischen Bremen und der Region Odessa, um die Solidarität der Stadt mit der Ukraine nach dem russischen Angriffskrieg zu bekunden. Die ukrainischen Partner wünschen sich, dass die neue Partnerschaft öffentlich sichtbar wird. Aus diesem Grund wurde ein Kulturprogramm von verschiedenen Akteuren organisiert. Etwa 15 Interessierte nahmen an der Diskussionsveranstaltung "Medien im Krieg" in der Galerie Am Schwarzen Meer teil.

Christoph Sodemann, Geschäftsführer von Constructify Media e. V., führte in das Thema ein. Konstruktiver Journalismus bedeutet lösungsorientierter Journalismus. Die Frage, wie man über einen Krieg konstruktiv berichten kann, findet Sodemann fast zynisch. Journalisten und Medien können keinen Krieg beenden, sollten jedoch ethische Werte beachten. Die Veranstaltung soll dazu anregen, wichtige Fragen zu reflektieren.

Sodemann war während seiner früheren Tätigkeit in Krisengebieten wie Südafrika, dem ehemaligen Jugoslawien und in kurdischen Gebieten tätig, jedoch nicht als Kriegsreporter. Constructify Media steht in engem Kontakt zu Journalist*innen aus Odessa. Sodemann selbst war noch nicht in der Ukraine.

Die weltweite Berichterstattung folgt dem Phänomen "Only bad News are good News". Dies führt jedoch zunehmend zu Frustration bei den Mediennutzern. Laut einer Studie von Reuters meiden mittlerweile 36% der Menschen die Nutzung von Medien. Konstruktiver Journalismus möchte kein rosarotes Bild der Welt zeichnen, sondern aufzeigen, wo es Ansätze zur Veränderung gibt. Er beleuchtet nicht nur die positiven oder negativen Aspekte, sondern auch die Zwischentöne. Auf eine ausführliche Hintergrundberichterstattung wird großen Wert gelegt. Es wird nicht aus der Vogelperspektive berichtet, sondern mit Empathie und aus der Nähe. Ein regionales Beispiel ist der Bericht "Wie es zwei geflüchteten ukrainischen Familien in Bremen-Nord geht" vom 24.08.2022 im Weser-Kurier. Weitere Beispiele sind ein Gesprächsformat im Deutschlandfunk (Was dürfen Medien zeigen? Was müssen sie zeigen?) und eine Fotoreportage über das Leben in Odessa in der Süddeutschen Zeitung. Auf der Website www.solutionsjournalism.org/storytracker findet sich ein Archiv von lösungsorientierter Berichterstattung.

Die Moderatorin Libuse Cerna fragt, wie man denn zwei konträre Positionen in zwei Minuten Sendezeit zusammenbringen könne. „In zwei Minuten wohl nicht“, lautet Sodemanns Antwort. Es müsse ein möglichst realistisches Bild gezeichnet werden, ohne zu stark zu verkürzen oder zu überspitzen. Die Kunst bestehe darin, die Dinge mit vielen Zwischentönen darzustellen, ohne sie zu verharmlosen oder zu verteufeln. Es sei jedoch wichtig, das Interesse an längeren Hintergrundberichten zu wecken. Sodemann betont, dass der konstruktive Journalismus definitiv seine Grenzen habe.

Eine Zuschauerin sieht Potenzial für einen konstruktiven Ansatz beim Community Management, also bei der Moderation von Online-Kommentaren. Oftmals würden bestimmte Wörter gefiltert oder die Kommentarfunktion einfach abgeschaltet. Eine angeleitete Diskussion wäre auch für Sodemann erstrebenswert.

Moderatorin Cerna fragt nach Triggerwarnungen, mit denen sich Medienhäuser absichern wollen. Sodemann findet die Frage, welches Bildmaterial überhaupt gezeigt werden sollte, schwierig. Es gebe manchmal Gründe, grausame Bilder zu zeigen, und verweist auf das ikonische Bild des Napalm-Mädchens aus Vietnam, das die Sichtweise auf den Krieg geprägt habe. Er persönlich hält einen kontrollierten Umgang für sinnvoll. Ein Zuschauer kritisiert die inflationäre Nutzung von Triggerwarnungen. Diese würden für alles verwendet, bei dem sich jemand "schlecht fühlen" könne. Das sei jedoch nicht dasselbe wie der Flashback eines Traumas.

Im Anschluss an die Diskussion konnten die Anwesenden eine Ausstellung mit Arbeiten der Künstlerin Angela Kushchyk, die aus Kiew stammt, besichtigen. Die Tuschezeichnungen wurden mit dem Europäischen Kunstpreis in München ausgezeichnet und sind noch bis zum 19. November zu sehen.

(Text und Bild: Christiane Seeger)

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